antisemitismus.net / klick-nach-rechts.de / nahost-politik.de / zionismus.info

Judentum und Israel
haGalil onLine - http://www.hagalil.com

hagalil.com


Newsletter abonnieren
e-Postkarten
Bücher / Morascha
Koscher leben...
Tourismus
 
 
Ulrike Baureithel

Jüdischer Luna-Park?

JUDEN IM NACHKRIEGSDEUTSCHLAND

Wer über sie spricht, gerät automatisch ins Gravitationsfeld des Nationalsozialismus. Dabei sind die Erfahrungen der zweiten Generation in Ost und West die Vorlage für die heutigen Beziehungen zwischen Deutschen und Juden

Klezmer-Musik in überfüllten Kneipen bei "gefillte Fisch" oder Bagels und in den Hackeschen Höfen ein wechselndes jüdisches Filmprogramm. Über all dem die weithin leuchtende Kuppel der Synagoge, die die "neue Zeit" kündet und doch touristischer Lustbarkeit dient. Wenn es einen Ort in Deutschland gibt, wo "jüdische Kultur" in das Straßenleben einer Stadt Einzug gehalten hat, dann ist es die Oranienburger Straße in Berlin, jene Kultmeile längs des ehemaligen jüdischen Viertels. 

Hier trifft Trash auf Orthodoxie, hier, scheint es, feiern Juden und Deutsche symbolische Aussöhnung. Oder festet hier nichts weiter als ein "jüdischer Luna-Park", der mit "eigentlich" jüdischem Leben rein gar nichts zu tun hat? Viel Chuzpe müsste "unsereins" haben, eine solche Bemerkung zu machen. Der Journalist Richard Chaim Schneider hatte, als er kürzlich im Jüdischen Museum Berlin gegen diese Art Folklore polemisierte, solche Skrupel nicht. Schon daran lässt sich etwas ablesen über das angeblich entspannte Verhältnis zwischen Deutschen und Juden.

Wer sich einmal für längere Zeit im Zürcher Stadtteil Wiedikon aufgehalten hat, spürt die Künstlichkeit der Berliner Szenerie. In den Straßen des Quartiers begegnet man orthodox gekleideten Männern, trifft morgens im Bus auf jüdische Kinder, die in Schuluniform zur jüdischen Schule fahren; und das koschere Angebot in den Läden zieht gewiss keine Touristen an, sondern deckt den täglichen Bedarf. Es sind Juden in der Diaspora, die hier leben, doch in diesem Zürcher Stadtteil habe ich vor Jahren erstmals eine Ahnung davon bekommen, wie jüdisches Leben, jüdischer Alltag in Deutschland einmal ausgesehen haben könnte. 600 000 Juden lebten 1933 im Reich, bei Kriegbeginn hatte sich die Zahl halbiert; 20 000 von ihnen überlebten.

An den "Fleischtöpfen Ägyptens"

Nichts ist in diesem unserem Land selbstverständlich zwischen Juden und Deutschen. Zwar sitzen die Nachkommen der Überlebenden, die in den vierziger und fünfziger Jahren geboren sind, nicht mehr auf gepackten Koffern wie noch ihre Eltern. Die "gepackten Koffer" waren das Symbol dafür, dass man Deutschland nur als - im wahrsten Sinne des Wortes - "Durchgangslager" (Zev Birger) betrachtete. Amerika und vor allem Israel galten die Hoffnungen der sogenannten Displaced Persons in den DP-Lagern der Nachkriegszeit, wo die von den Nazis verschleppten oder vor den neuerlichen Pogromen geflohenen osteuropäischen Juden die ersten Nachkriegsjahre überstanden. Bis zur Gründung des Staates Israel war letztere eine nur für wenige und unter hohem Risiko erreichbare Hoffnung, denn die Engländer ließen die DP's bis 1948 nicht in das Mandatsgebiet einreisen. Wer bei illegaler Einwanderung aufgegriffen wurde, landete in den Internierungslagern auf Zypern oder wurde sogar nach Deutschland zurück verfrachtet.

Ein Teil der DP's blieb jedoch in Deutschland hängen, wie die aus Ungarn stammenden Eltern Schneiders oder der KZ-Überlebende Max Mannheimer. Warum? Mannheimer zum Beispiel, Vorsitzender der Lagergemeinschaft Dachau, arbeitete nach dem Krieg für das Zentralkomitee der befreiten Juden, in Prag traf er seine deutsche Frau, die später in München Stadträtin wurde. Den Publizisten Ralph Giordano hielt die deutsche Sprache. "Es hatte sich eben so ergeben", sagen die meisten. Und es gab immer irgendwelche Gründe, warum man, wie Norbert Wollheim, einer der ersten Überlebenden, der sich mit der Entschädigungsfrage für Zwangsarbeiter befasste, bissig bemerkt, "an den 'Fleischtöpfen Ägyptens'" blieb. Gründe, die einem halfen, der bohrenden Frage der Nachkommenden zu begegnen: Wie konntet ihr in diesem Land der Täter weiter leben?

Über das Leben der Juden im Nachkriegsdeutschland ist wenig bekannt. Das hat mehrere Gründe. Zum einen gerät das Thema - und dies gilt für die Nachkriegszeit ganz allgemein - sofort in das Gravitationsfeld der nationalsozialistischen Ära und allen damit verbundenen Schuld- und Entlastungsstrategien. Zum anderen gab sich die deutsche Nachkriegsgesellschaft alle denkbare Mühe, die Existenz der Juden "zu vergessen". Wo man ihnen begegnete, wurde man an die eigene Schuld erinnert: "Die Deutschen wollten, dass die Juden möglichst schnell verschwinden", erinnert sich Leni Yahil. Die daraus resultierende Angst und Aggression schürte den nach wie vor vorhandenen Antisemitismus. So wurden die DP's etwa für die Schwarzmarktaktivitäten verantwortlich gemacht, mit der Folge, dass - schon wieder! - deutsche Polizisten Juden jagten.

Außer den Überlebenden der KZ's lebten an die 200 000 osteuropäische Juden in den Camps der amerikanischen Zone. Eine "therapeutische Gemeinschaft", wie es die amerikanische Historikerin Atina Grossman einmal formulierte, die in den Jahren 1945-1947 kräftig anwuchs durch die Geburt von 2.000 Kindern, die als Symbol des Überlebens galten. Bis 1948 schmolzen diese von der deutschen Umgebung abgeschotteten Lagergemeinschaften zusammen, zurück blieben ungefähr 12.000 Menschen. Sie bildeten den Kern der neuen jüdischen Gemeinden in Deutschland; auf sich selbst bezogen und nach außen hin anpassungsbereit.

Denn auch die Juden hatten ein Interesse daran, "unsichtbar" zu bleiben. Damit entgingen sie nicht nur dem Misstrauen der Deutschen, sondern auch dem Unverständnis derer, die ausgewandert waren. "Wir nahmen Deutschland wahr als ›Feindesland‹" sagen viele der Nachgeborenen. Gleichzeitig gingen sie hier zur Schule, hatten Freunde, waren umgeben von deutscher Kultur. Dabei schien die Tatsache, überhaupt überlebt zu haben, ein Teil der jüdischen Rache an Hitler zu sein.

Was verlangt man für sechs Millionen Tote?

Der andere Teil der Rache waren die Wiedergutmachungsleistungen an den jungen Staat Israel, mit dem sich zumindest die Bundesrepublik von der Schuld freikaufen und auf dem internationalen Parkett wieder salonfähig werden wollte. Doch "was verlangt man für sechs Millionen Tote? Man spricht nicht von Geld, wenn es um die Toten geht", umreißt Benjamin Ferencz, Chefankläger bei den Nürnberger Prozessen und Verhandlungsführer bei den Entschädigungsverhandlungen in den fünfziger Jahren, das Problem. "Es kann keine wie auch immer geartete symbolische Entschädigung geben", bestätigt die Politologin Gesine Schwan, "schon der Begriff führt in die Irre." Die schließlich ausgehandelte "Globalentschädigung" von 100 Milliarden Mark errechnete sich aus den Kosten, die der Staat Israel für die Eingliederung der 500 000 Juden aus dem nazibesetzten Europa aufbringen musste.

Dieser "Wiedergutmachung" ins Gesicht schlug der lasche Umgang mit den nationalsozialistischen Tätern. Dass Verantwortliche für die Vernichtungsmaschinerie wie Werner Best oder Aloys Brunner davonkamen oder Theodor Heuss die hingerichteten Massenmörder anlässlich einer Silvesteransprache in sein Gebet aufnahm, war für die in Deutschland lebenden Juden kaum nachvollziehbar. In den Prozessen, urteilt Giordano, schien die Welt auf den Kopf gestellt, indem "die Opfer zu Tätern gemacht wurden und die Täter zu Opfern."

Die Verdrängungskultur der Nachkriegsgesellschaft brach erst Ende der sechziger Jahre auf, als die Kinder der Nazi-Generation ihre Eltern zur Verantwortung zogen. Die Apo, mit der viele der Juden aus der zweiten Generation sympathisierten, weil deren Ideologie dem jüdischen Internationalismus ebenso entgegenkam wie dem Messianismus, schien, ebenso wie die sozialliberale Koalition mit dem "Schicksalsgenossen" Brandt an der Spitze, ein Hoffnungsschimmer. "Nach dem Kniefall Brandts in Warschau", bekennt Schneider, "entschied ich mich für die deutsche Staatsangehörigkeit. Bis dahin war ich wie meine Familie staatenlos."

Doch gerade in der Abwehr zur Elterngeneration blieben die Vertreter des SDS als typische "Konvertiten", so der Historiker Dan Diner, im nationalsozialistischen Schuldzusammenhang gefangen: Im Verlauf des Sechs-Tage-Krieges 1967 wechselten die linken Israel-Sympathisanten die Seite und entwickelten sich zu hasserfüllten Gegnern; und als im Juni 1976 das deutsche RAF-Mitglied Wilfried Böse bei der Flugzeugentführung nach Entebbe die jüdischen von den deutschen Passagieren "selektierte", wirkte das auf jüdische Linke wie etwa Micha Brumlik, der aus einem zionistischen Elternhaus stammt, wie ein Signal zum Rückzug.

Und im "besseren" Teil Deutschlands?

Während sich also sowohl die restaurative als auch die reformwillige Nachkriegsrepublik im deutschen Westen als unfähig erwies, die historische Bürde auf sich zu nehmen, erledigte die DDR das Problem für sich, indem sie sich frühzeitig exkulpierte und als "besserer" Teil der Deutschen weder symbolische noch materielle Verantwortung übernahm. Dass deutsch-jüdische Intellektuelle aus dem Exil gerade in dieses "andere", per Dekret als "antifaschistisch" erklärte Deutschland zurückkehrten und dort wie beispielsweise Alexander Abusch, Hermann Axen und viele andere Funktionen übernahmen, bediente nolens volens den Anschein. In der Tat ging die russische Besatzungsmacht mit NS-Verbrechern unnachsichtiger um als die Westalliierten.

Zunächst schien die Integration der jüdischen Rückkehrer in den neuen Staat DDR zu funktionieren, nicht zuletzt, weil diese ihre jüdische Identität bereits vor 1933 abgestreift hatten und vor allem Kommunisten sein wollten. "Ich wußte nicht, dass ich Jüdin bin", erzählt Eva Neumann, Tochter des Staatssekretärs im DDR-Innenministerium Herbert Grünstein. "Judentum war für mich nichts anderes als eine Form von Religion." Ähnlich erlebte es auch Vincent von Wroblewsky, der als Kind in Frankreich im Exil aufwuchs, seinen Vater in der Résistance verlor und mit zehn Jahren in die DDR kam, weil seine Mutter Sozialistin war. Bei ihm allerdings war es dann die doppelte - die französische und die jüdische - Fremdheit, die ihn mit den Jahren sein Anderssein spüren ließ. Wie viele seiner Altersgenossen nahm er die Exilanten jedoch als "verschworene Gemeinschaft" wahr.

Diese mag für die Rückkehrer auch notwendig gewesen sein, als der berüchtigte Merker-Prozess 1952 auch die in der DDR virulenten antisemitischen Affekte offenbarte. Nichtsdestotrotz hielten die meisten in der DDR lebenden Juden zu ihrem Staat, sei es nun aus Überzeugung oder mangels Alternative; und viele von ihnen waren wie Irene Runge oder Salomea Genin auch für die Stasi tätig. Die Partei, erklärt Genin heute, sei für sie und viele andere Juden Familienersatz gewesen. Erst spät, in den achtziger Jahren, als der Niedergang der DDR unübersehbar wurde, fanden sich Juden in der losen Gruppe "Wir für uns" um Irene Runge zusammen.

In diese Zeit fallen auch Annäherungsversuche der DDR-Führung an das "kapitalistische Ausland", die nicht nur zum Erzfeind Strauss, sondern auch in die USA führten, bezeichnenderweise über den Umweg der amerikanischen Juden, mit denen erstmals über Entschädigungszahlungen verhandelt wurde. Der Deal sollte die DDR in den USA auf die Liste der "meistbegünstigten" Handelspartner hieven, ein Teil der ziemlich hilflosen Manöver, den Lebensfaden der DDR-Wirtschaft zu verlängern. Fünf Millionen Dollar Entschädigung wäre dies Honecker wert gewesen; um seinen guten Willen zu manifestieren, "schenkte" er den Ostberliner Juden den Rabbiner Neuman, das Centrum Judaicum und die Restaurierung eben jener Synagoge, die heute als Wahrzeichen deutsch-jüdischer "Normalität" gilt. Die Wende setzte diesen Operationen ein jähes Ende, und erst die 1990 frei gewählte Volkskammer bekannte sich zur Mitverantwortung der DDR an den nationalsozialistischen Verbrechen.

Im Westen war es die "geistig-moralische Wende" Kanzler Kohls, die in der Bitburger Geschmacklosigkeit ihren ersten Höhepunkt fand, die Affäre um das Fassbinder-Stück Der Müll, die Stadt und der Tod und schließlich der Historikerstreit mit seinen Relativierungen historischer Tatsachen, der die noch oder wieder in der Bundesrepublik lebenden Juden mobilisierte und aus ihrer Sprachlosigkeit riss. Die Begriffe "Jude" und "jüdisch", bis in die achtziger Jahre hinein tabuisiert, hat sich mittlerweile die Sprachbühne zurückerobert.

"›Das ist auch kein Franzose‹", erklärte mir meine Mutter auf russisch, so erinnert sich Eva Neumann, "wenn wir einen Juden trafen. Dass das ein Code war, habe ich erst später begriffen." Heute sind "Juden" keine "Franzosen" mehr, sie leben nicht mehr verdeckt. Die im letzten Jahrzehnt aus Osteuropa eingewanderten, von der Vergangenheit weniger belasteten Juden setzen neue Akzente, die auch die Verhältnisse in den jüdischen Gemeinden komplizieren. Doch selbst wenn dieser Tage der erste Abiturjahrgang des jüdischen Gymnasiums seinen Abschluss feierte, ist das Verhältnis zwischen Deutschen und Juden von "Normalität" noch weit entfernt. An den Juden, den "Anderen", lässt sich, wie Dan Diner meint, ablesen, wie es um "Deutsche" und "deutsche" Identität bestellt ist. Ihr Bleiben wäre dann ein Indikator für ein positives deutsches Selbstverständnis.

Ulrike Baureithel / freitag.de

Die Zitate der ZeitzeugInnen sind entnommen aus: Richard Chaim Schneider: Wir sind da! Die Geschichte der Juden von 1945 bis heute. 500 Seiten, Ullstein-Verlag, Berlin 2000.

Die Geschichte der Juden im Nachkriegsdeutschland ist nahezu unbekannt. Die Jahreszahl 1945, das Ende des Holocaust, markiert den vermeintlichen Schlusspunkt jüdischen Lebens in Deutschland. "Wir sind da!" beginnt da, wo das allgemeine Geschichtsbewusstsein aufhört, am 8. Mai 1945. Richard Chaim Schneider zeigt, wie es weiterging für die Überlebenden, wie sich Juden, einige freiwillig, viele unfreiwillig, wieder in Deutschland niederließen und wie sie sich am Aufbau beider deutscher Staaten beteiligten.

haGalil onLine 15-11-2000

 


Books

Jüdische Weisheit
Ihre neue MailBox...
haGalil.com ist kostenlos! Trotzdem: haGalil kostet Geld!

Die bei haGalil onLine und den angeschlossenen Domains veröffentlichten Texte spiegeln die Meinungen der jeweiligen Autoren.
Sie geben nicht unbedingt die Meinung der Herausgeber bzw. der Gesamtredaktion wieder.
haGalil onLine

Kontakt: hagalil@hagalil.com
haGalil - Postfach 900504 - D-81505 München

1995-2004 © by haGalil onLine®
bzw. den angegebenen Rechteinhabern
Munich - Tel Aviv - All Rights Reserved
haGalil onLine - Editorial
Impressum